Maresi, eine Kindheit in einem Donauschwäbischen Dorf

Der Roman von Johannes Weidenheim, 1999 im ROWOHLT Verlag erschienen (ISBN 3 498 07339 7), beschreibt eine Urlaubsreise des Autors in seinen Heimatort, ein Dorf in dem verschiede Ethnien lebten. Dadurch ergeben sich zahlreiche Analogien zu Tschakowa. Hier einige kurze Ausschnitte:

 

Im fünften Jahrzehnt seines Lebens am Rhein war ihm der Fremdling schon lange nicht mehr anzusehn. Längst hatte er sich den hiesigen Sitten angepaßt, längst lüftete er beim Grüßen nicht mehr den Hut, und seit langem schon fiel er nicht mehr dadurch auf, daß er dauernd «bitte» und andauernd «danke» sagte. Nun - alles dies konnte der Mensch sich abgewöhnen. Auch das hartnäckige «Pardon!» konnte man sich abgewöhnen. Allzu leicht kann der Neuling in der Fremde mal in diesen, mal in jenen Verdacht geraten; also gewöhnte er sich dies und jenes ab und dies und jenes an, und am Ende war er nur noch an seinem Akzent zu erkennen. Auf diese letzte Unterscheidung allerdings legte er den größten Wert! Er sprach ein bißchen wie in Wien, ein bißchen wie in Prag und ein bißchen wie in Kaiserslautern. Allerdings mit rollendem R - worin er das kostbarste Stück seiner Mitgift sah. Seit nunmehr einem Menschenalter lebte Simon Lazar Messer am Rhein - aber immer noch streifte er nach dem Betreten des Hauses als erstes seine Schuhe ab wie er das als Kind gelernt hatte. Und in stillen Stunden wurde ihm sogar bewußt, daß ihn zeitlebens, dem eigenen Schatten g1eich, in den Städten der Welt, ewig unermüdlich, die heimliche Sehnsucht nach dem Dorf begIeitet hatte. Bis an das Ende seiner Tage würde seine Kindheit ihm das Geleit geben. Oder vielleicht er ihr ...? Doch längst schon sah ihm niemand mehr sein Heimweh an - wußte doch auch er das Leben am Rhein zu schätzen. Die Pünktlichkeit der Eisenbahn, die hundert Sorten Brot, die aberhundert Sorten Aufschnitt ... Den herberen Duft der Seifen ... In Pannonien hatten die Leute Sonntag nachmittags zu süßem Kuchen Weißwein getrunken. Und über alle Zeitläufe hinweg erinnerte er sich plötzlich, daß die duftendste Seife «Elida» geheißen hatte. Es war die Sonntagsseife die es nur in der Drogerie des Ignaz Rojter zu kaufen gab; unter der Woche wusch man sich mit Hausseife - hergestellt in kräftigen Würfeln von der Großmutter am hinteren Ende des Hofes über offenem Feuer, dem Hund und Katz in weitem Bogen aus dem Weg gingen .... Doch wieso fiel ihm dies alles gerade jetzt wieder ein - nach Jahrzehnt um Jahrzehnt? Er spürte, daß er in Erinnerungen zu versinken drohte ... Jedoch: Gab es überhaupt etwas Schöneres als Erinnerungen? Wohl dem, der sich jederzeit ins Gehäuse einer Erinnerung zurückziehen kann. ... 

... Als er noch ein Kind war, gab es in den vielen warmen Jahreszeiten einen ganz bestimmten herzhaften Duft, der sich aus der Küche über das ganze Haus verströmte: den Duft von dünstenden "Gefüllten Paprika", dazu, als Begleitung, das Aroma von Paradeis-Soß. An gewissen Sommertagen duftete es im Dorf notorisch herb nach dünstenden Paprikaschoten und süß nach köchelnden Tomaten. Und später im Leben brauchte es, egal in welcher Weltgegend, nur nach gefüllter Paprika mit Paradeis-Soß zu duften, und schon war ihm wieder seine ganze Kindheit lebendig. ... 

... und keine zwei Stunden später landeten sie in Frankfurt, wo schon die Eisenbahn nach Bonn bereitstand ... Mit einem Wort: Noch vor Sonnenuntergang waren sie wieder daheim (wo es regnete), und sie schauten sich in ihren eigenen vier Wänden etwas verwundert um ... Aber wie schnell sollte danach doch alles wieder verblichen sein! Während Simons heimliche Tentakeln sich weiterhin an den Bildern seines fernen Dorfes festhielten, rückte mit gelassener Brutalität die Gegenwart erneut in ihre alten Rechte ein. Wie schnell war doch alles andere verblaßt! Wie schnell war alles andere gleichgültig geworden ...

 

Johannes Weidenheim, geboren 1918 in Backa Topola, Jugoslawien. Erlernter Beruf: Lehrer; Schuldienst in Belgrad, der Lüneburger Heide und Stuttgart. Seit 1952 freier Schriftsteller, ausgezeichnet u.a. mit dem Andreas-Gryphius-Preis und dem Donauschwäbischen Literaturpreis des Landes Baden-Würtenberg.